Jetzt ist es wieder passiert und ich überlasse einmal mehr Hermann Hesse die besinnlichen Zeilen zum Weihnachtsfest. Ich schaue immer hier und da, um etwas Passendes zu finden – lese lauter schöne Sachen nochmal, und nun – also gut, auch in diesem Jahr zu Weihnachten wieder im Glasperlenspiel hängen geblieben, so soll es also sein:
„Einen Augenblick schien alles ihm vom Geiste erfaßbar, alles wißbar, alles belauschbar, der leise, sichere Gang der Gestirne oben, das Leben der Menschen und Tiere, ihre Gemeinschaften und Feindschaften, Begegnungen und Kämpfe, alles Große und Kleine samt dem in jedem Lebendigen mit eingeschlossenen Tod, das alles sah oder fühlte er in einem ersten Ahnungsschauer als ein Ganzes und sich selbst darin eingeordnet und einbezogen als etwas durchaus Geordnetes, von Gesetzen Beherrschtes, dem Geist Zugängliches.
Es war die erste Ahnung von den großen Geheimnissen, ihrer Würde und Tiefe sowohl wie ihrer Wißbarkeit, die den Jüngling in dieser nächtlich-morgendlichen Waldkühle auf dem Felsen über den tausend flüsternden Wipfeln wie eine Geisterhand berührte. Er konnte nicht davon sprechen, damals nicht und in seinem ganzen Leben nicht, aber daran denken mußte er viele Male, ja es war in seinem weiteren Leben und Erfahren immer diese Stunde und ihr Erlebnis mit gegenwärtig. »Denke daran«, mahnte sie, »denke daran, dass es dies alles gibt, dass zwischen dem Mond und dir und Turu und Ada Strahlen und Ströme gehen, dass es den Tod gibt und das Seelenland und die Wiederkehr von dort und dass auf alle Bilder und Erscheinungen der Welt es eine Antwort innen in deinem Herzen gibt, dass alles dich angeht, dass du von allem so viel wissen solltest, als dem Menschen irgend zu wissen möglich ist.« So etwa sprach diese Stimme.
Für Knecht war es das erstemal, daß er die Stimme des Geistes so vernahm, ihre Verlockung, ihre Forderung, ihr magisches Werben. Schon manchen Mond hatte er am Himmel wandern sehen und manchen nächtlichen Eulenruf gehört, und aus dem Mund des Meisters, so wenig redselig er sein mochte, hatte er schon manches Wort alter Weisheit oder einsamer Betrachtung vernommen – in der heutigen Stunde aber war es neu und anders, es war die Ahnung vom Ganzen, die ihn getroffen hatte, das Gefühl der Zusammenhänge und Beziehungen, der Ordnung, die ihn selbst mit einbezog und mitverantwortlich machte. Wer den Schlüssel dazu hätte, der müsste nicht bloß aus den Fußspuren ein Tier, an den Wurzeln oder Samen eine Pflanze zu erkennen imstande sein, er müsste das Ganze der Welt: die Gestirne, die Geister, die Menschen, die Tiere, die Heilmittel und Gifte, alles müsste er in seiner Ganzheit erfassen und aus jedem Teil und Zeichen jeden andern Teil ablesen können.„
Hermann Hesse „Das Glasperlenspiel“
Ich wünsche euch schöne Weihnachten und ein gutes Jahr 2020.