Kennt ihr das, diesen Heißhunger auf Zucker? Auf ein Teilchen vom Bäcker – möglichst aus Weißmehl? Auf süße Limonade? Nach allem, was wir gelernt haben, müsste unser Körper, wenn er danach schreit, den Verstand verloren haben. Typisches Suchtverhalten eben. Doch hinter jeder Sucht steckt ja bekanntlich eine Sehnsucht – und die kann durchaus gesund sein. In diesem Fall sehnt sich unser Körper nach der Energie, die ihm offenbar ständig fehlt. Und sie fehlt ihm ständig, weil sie zu schnell verfügbar und somit auch ruckzuck wieder verbraucht ist. Je einfacher der Zucker, desto schneller die Energie, das wissen wir alle – doch je schneller ist sie auch wieder weg und der Körper muss sich nun mit dem Abfall aus diesem schnellen Rausch herumplagen, wird müde – und benötigt schnell wieder ungesunden Nachschub.
Die Lösung für dieses Problem muss jedoch nicht LowCarb sein – die gesündeste Alternative heißt stattdessen „komplexe Kohlenhydrate“. Also Kohlenhydrate in Form von ganzen Pflanzen wie z. B. Vollkorngetreide, die nebenbei bemerkt auch einen natürlichen Proteingehalt mitbringen. Hier muss der Körper sich die Energie quasi erstmal basteln, die er braucht, das dauert etwas länger – doch sie hält auch länger, wenn sie in kleinen Dosen kommt. Insgesamt verursacht diese Art der Energieversorgung weitaus weniger Müll als die kurzzeitige Absättigung mit schnell verfügbaren aber vitalstoffarmen Kalorien, denn die unverarbeitete Pflanze bringt alles mit, was zur optimalen Verwertung notwendig ist.
Wenn also unser Körper nach Zucker schreit, so deshalb, weil er ihn braucht. Glukose ist der Kraftstoff, der uns am Laufen hält. Geben wir ihm die ganze Pflanze, so kann er sich z. B. aus Früchten recht schnell verfügbaren Kraftstoff holen, der jedoch im Gegensatz zu raffiniertem Zucker auch noch eine ganze Schar wertvoller Nährstoffe im Schlepptau hat – und ganzes Korn kann er sich nach und nach aufspalten und hat somit eine langanhaltende Zuckerversorgung inklusive Vitamin- und Mineralstoffcocktail und, ja genau, auch eine Dosis Proteine, das alles in optimaler Zusammensetzung.
So wie Glukose unser Kraftstoff ist, so ist Eiweiß der Baustoff. Denken wir an ein Haus: ist es erstmal fertig gebaut, dann brauchen wir Baustoffe nur noch in geringen Mengen; zum Ausbessern, zum Reparieren – oder zum Anbauen. Ausbessern und Reparieren muss man als Hausbesitzer immer etwas – und als Körper auch, somit ist eine regelmäßige Eiweißzufuhr äußerst wichtig. Die größte Eiweißmenge benötigen wir, solange der Körper noch nicht seine volle Größe erreicht hat, also während der Wachstumsphase. Dafür bekommt er mit der Muttermilch einen Cocktail aus Proteinen, Wachstumshormonen, Vitaminen, Mineralstoffen und einer Art stimmungsaufhellendes Beruhigungsmittel, die Aminosäure Tryptophan, die wir in auch in Schoki und Getreide finden. Unter anderem die Sucht nach letzterem macht übrigens ganze Kerle noch im Erwachsenenalter zu Milchbubis, denn versiegt die Milch der eigenen Mutter, steigen ja viele Menschenkinder schon in jungen Jahren und freundschaftlich unterstützt durch Slogans der Milchindustrie auf die Muttermilch von Kühen um und trinken nun den Kälbern das eigentlich ihnen zustehende und auf sie abgestimmte Wachstumsgetränk weg.
Grundsätzlich jedoch, ob nun von der echten Mutter oder einer artfremden: der in Muttermilch enthaltene Eiweißanteil ist weitaus höher als für einen bereits fertigen, also erwachsenen Körper gesund wäre. Das ist bei allen Säugetieren der Fall: die Zeit des höchsten Proteinbedarfs besteht bei Säuglingen, ist der Körper erstmal fertig gebaut, gibts das, was die Erwachsenen futtern – das ist unterschiedlich je nach Säugetier, es ist jedoch niemals Muttermilch. Auch die Verdauungsenzyme, die der Körper produziert, verändern sich je nach Wachstumsphase; Muttermilch kann irgendwann nicht mehr problemlos verwertet werden (was ja auch so nicht gedacht war von Mutter Natur), dafür bilden wir Menschen, sobald wir Zähne bekommen, ein Enzym, welches beim Kauen im Speichel freigesetzt wird und die Verdauung von Kohlenhydraten einleitet. Auch dies ist übrigens ein Anzeichen für die Nahrung, die die Natur für einen abgestillten Menschen vorgesehen hat.. Um also beim Hausbau zu bleiben: ist es fertig gebaut und wir schleppen dennoch genauso viele Baustoffe hinein wie zu Zeiten des Aufbaus, dann wird es irgendwann verstopfen und aus allen Nähten platzen. Weder für ein Haus noch für den menschlichen Körper ist es erstrebenswert, wenn irgendwo Dinge wachsen, die dort gar nicht wachsen sollen – und deshalb sollten wir nicht zu viel Eiweiß in unser System tragen.
Der einzige Grund, einen erwachsenen Körper mit einer verstärkten Eiweißzufuhr zu beglücken ist dann gegeben, wenn es viel auszubessern gibt (z. B. nach Krankheit oder Hungersnot) oder wenn wir anbauen wollen, was beim Muskelaufbau der Fall ist. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir ohne Ende Baustoff in Form von Eiweiß in den Körper kippen sollten oder gar müssten – und schon gar nicht in Form von tierischem Eiweiß. Denn hier ist es nun ähnlich wie bei den Kohlenhydraten: schnell verfügbar ist nicht unbedingt gesünder – im Gegenteil. Tierisches, also sogenanntes hochwertiges Eiweiß, welches alle 8 essenziellen Aminosäuren enthält, hat zwar einen schnellen Effekt, überschwemmt den Körper jedoch auch schnell und gibt ihm nicht die Chance, sich aus den verschiedenen Angeboten nur genau das zu nehmen, was er gerade braucht. Auch dafür wiederum sind Pflanzen geeigneter als ein fertiger Wachtumshormoncocktail aus der Muttermilch von Kühen. Hinzu kommt eine stark vermehrte Kalziumausscheidung bei hoher Eiweißzufuhr, die seit Jahrzehnten von verschiedenen Experten dafür verantwortlich gemacht wird, dass gerade in den Ländern, in denen viel Milch getrunken wird, das Osteoporoserisiko am größten ist.
Proteine sollten ein Zehntel der Gesamtenergiezufuhr nicht übersteigen und laut Dr. med. L. M. Jacobs sollte sogar jeder Sportler – auch Kraftsportler – sich überwiegend aus komplexen Kohlenhydraten ernähren, wobei je nach Sportart der Eiweißbedarf variieren kann. Ein Profisportler wird sich mit dem Thema gesondert auseinandersetzen, doch auch in diesem Bereich vermehren sich nun die positiven Erfahrungsberichte von Läufern, Kraftsportlern und Fußballspielern, die vermehrt auf pflanzliche Kost setzen. Und wer im Freizeitsport nicht nur aus kosmetischen Gründen Muskeln wachsen lassen will und dafür in Kauf nimmt, seine Gesundheit zu schädigen, sondern aus dem Sport neben vermehrter Kraft auch Vitalität und Wohlbefinden im Alltag ziehen will, dem ist von unkontrollierten Eiweißgaben dringend abzuraten. Ein gesunder Körper wird bei Bedarf von sich aus nach proteinreicherem Essen verlangen, wir müssen es ihm nicht aufdrängen und sollten daran denken, dass er nicht ungestraft unbegrenzt Eiweiß speichern kann; eine zu hohe Stickstoffbelastung wäre die Folge, die Eiweiß-Verdauung kostet besonders viel Energie, die Muskeln ermüden schneller, Leber und Nieren werden unnötig belastet.
Kurzfristig kann es durchaus den Anschein erwecken, als würde es dem Körper gut bekommen, schwerpunktmäßig von Eiweiß ernährt zu werden. Das kann daran liegen, dass man sich vor einer solchen Diät schon ungesund ernährt hat (zum Beispiel von zu viel raffiniertem Zucker und Weißmehl) und der Körper erst einmal „aufatmet“ angesichts der nun weggelassenen Belastungen. Auch führt ein Kohlenhydratentzug zur Leerung der Glykogenspeicher und somit zu einem sofort gewichtsreduzierenden Vorgang: der Ausscheidung großer Mengen Zellwasser. Sind die Glykogenspeicher jedoch leer (wir erinnern uns: Zucker ist unser Kraftstoff), entsteht ein Hungerstoffwechsel, das heißt, der Körper verbrennt nun in seiner Not das, was vorhanden ist. Neben der durchaus gewollten Fettverbrennung benutzt er nun als Brennstoff auch das als „Sprit“ weniger geeignete Eiweiß. Dieser Protein-Stoffwechsel führt dann wiederum zu einer Menge Abfall in Form von Stoffwechselsäuren, die den Körper belasten und erschöpfen.
Besonders fatal ist es, wenn das Eiweiß tierischer Herkunft ist, denn wenn wir uns von überwiegend ganzen Pflanzen ernähren, können wir bezüglich des Nährstoffverhältnisses nicht so viel falsch machen wie bei einer konzentrierten Eiweißzufuhr zum Beispiel in Form von Muttermilch viel größerer Säugetiere. Pflanzen haben ein in sich harmonisch aufeinander abgestimmtes Nährstoffverhältnis und wenn wir nicht immer dieselben essen, sondern uns an der großen Auswahl, die die Natur uns präsentiert, gütlich tun, so werden wir im Normalfall gut versorgt sein – auch mit Eiweiß. Dr. J. C. Drummond, einst Professor der Biochemie an der Londoner Universität, wusste schon vor hundert Jahren, „dass die gegenseitigen Ergänzungseffekte der Eiweiße von Getreide, Wurzeln und Blattgemüsen darin bestehen, ausgezeichnete Aminosäure-Mischungen für den Gewebeaufbau und den Erhalt des Körpers bereitzustellen.“ Und Colin T. Campbell betont immer wieder, dass so genanntes „minderwertiges“ pflanzliches Protein eine langsame aber beständige Bildung neuer Proteine gewährleistet und somit die gesündere Proteinart ist. Nun, es zeigt sich, dass Fleisch- und Milchindustrie schon immer gute Marketingexperten hatten, denn bis heute hält sich selbst in besseren Bildungsschichten das Gerücht hartnäckig, dass die Milch „es“ macht und Fleisch ein Stück Lebenskraft ist.
Ob jedoch pflanzlichen oder tierischen Ursprungs: Protein gehört zu den eher schwer verdaulichen Nahrungsbestandteilen und auch für Veganer ist es nicht notwendig, massenweise Linsen, Soja, Hanfsamen oder Nüsse zu essen – wer in seinen Körper lauscht, wird das schnell selber merken – und hören. Auch grüne Blätter und Gemüse haben ihren Eiweißanteil und nicht nur Kühe und Pferde können aus Gras Proteine machen ;) Hier empfehle ich wie immer, dem Appetit zu folgen, solange er einen zu unverarbeiteten Lebensmitteln führt – und achtsam zuzuhören, was der Körper wirklich verträgt.
Sollte uns jedoch öfter der Heißhunger packen und uns zu Industriezucker oder gar Milchprodukten führen wollen, so können wir das dankbar als Hinweis dafür nehmen, unseren Körper zukünftig nachhaltiger und vollwertiger zu versorgen. Anstatt ihn weiterhin erst mit „schneller“ Energie zu überfluten, zwischendurch von Tier- und Fitnessindustrie gesponserte Diäten und Produkte auszuprobieren, ihn dann mit dem Abfall quasi allein zu lassen, um nach Jahrzehnten über Spätfolgen zu jammern, die uns dann angeblich wie aus heiterem Himmel ereilt haben.
In der freien Natur sind es die Pflanzenfresser, die mit Kraft und Ausdauer glänzen. Und auch vegane Menschen müssen sich keinerlei Sorgen um ihre Proteinversorgung machen, auch dann nicht, wenn sie sich sportlich betätigen. Wenn eine ausreichende Zufuhr an Gesamtkalorien aus abwechslungsreicher, vollwertiger, pflanzlicher Kost gewährleistet ist (und der Gesamtenergiebedarf steigt natürlich bei Sportlern), wird automatisch auch der Proteinbedarf gedeckt sein.
Zum Fit+Food-Coaching geht es hier.
Literatur/Quellen/Empfehlungen zum Vertiefen:
Dr. M. Greger: How Not To Die (deutsche Ausgabe)
Dr. John A. McDougall: The Starch Solution (auf deutsch: Die HighCarb Diät)
Dr. med. L. M. Jacobs: Dr. Jacobs Weg des genussvollen Verzichtes
Colin T. Campbell: The China Study
Ein super Beitrag, Daumen hoch! :) Herrn Jacobs kannte ich bisher nicht, werde mich aber sicher mit ihm näher beschäftigen ;)
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vielen Dank 😃 ja, Herr Jacobs lohnt sich, es ist eine ziemlich große Ansammlung von Wissen und ich benutze es inzwischen gern als Nachschlagewerk..
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Ist bereits auf meinem Kindle ;)
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Klasse Beitrag. Respekt.
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vielen Dank 😃
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